Der bunte Swiss Game Hub bildet einen starken Kontrast zum grauen Zürich. In diesem Coworking-Space für Game-Entwickler und -Entwicklerinnen treffe ich mich mit Pierre Lippuner und Denise Hohl vom Game-Studio Ninoko. Der Dritte im Bunde, Jan Schneider, kommt erst später dazu, um mit uns zusammen ihr Racing-Game «Ultimate Godspeed» zu zocken. Ihre Leidenschaft für Game Design und der Swiss Game Hub haben die drei zusammengebracht.
Fangen wir mit dir an, Pierre. Wer bist du und woher kommst du?
Pierre: Ich bin Pierre Lippuner, komme aus St. Gallen und bin Spieleentwickler, sowohl im analogen als auch im digitalen Bereich.
Wie hast du den Weg in die Videospiel-Branche gefunden?
Pierre: Vor meiner Lehre als Grafiker wollte ich Comic-Zeichner werden. Zufällig bin ich aber den Leuten in die Arme gelaufen, mit denen ich dann das Kartenspiel Frantic herausbrachte. Nachdem ich mich mit diesen Menschen angefreundet hatte, erzählten sie mir von ihrer Spielidee.
Ich hatte Lust, das Design dafür zu gestalten und mich angeboten. Unerwartet wurde das Spiel ein Riesenerfolg. Da packte es mich erstmals richtig. Im Gegensatz zum Agenturleben habe ich hier als Grafiker ganz andere Möglichkeiten. Wir haben als Team ein unterhaltsames Produkt gestaltet. Und sagen zu können, ‹Hey, das Spiel habe ich gemacht!›, ist ein tolles Gefühl.
Während des Projektes traten zudem Kindheitserinnerungen auf. Das Kartenspiel im Anime Yu-Gi-Oh! interessierte mich seinerzeit viel mehr als die Story. So bastelte ich aus Jasskarten meine eigene Version davon. Das war quasi mein erstes eigenes Spiel.
Und wie ging es weiter?
Frantic kam 2015 heraus. Im Anschluss wollte ich mich in diese Richtung weiterbewegen, und habe mich für den Studiengang Game-Design an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) beworben – mit Erfolg. Dort habe ich mein jetziges Team – Ninoko – kennengelernt: Jan Schneider ist unser Programmierer und Tech-Genie. Denise ist für die Gestaltung zuständig. Ich selbst kümmere mich um Design und Entwicklung. Generell machen aber alle drei in jedem Bereich etwas. Immer so, wie es gerade funktioniert.
Und wie sieht dein Weg zur Game-Entwicklerin aus, Denise?
Denise: Ich war wie Pierre zuvor als Grafikerin tätig. Etwa acht Jahre lang. Aber ich wollte trotz Freude daran meine Skills verbessern und ausweiten. Beispielsweise hatte ich Interesse am Programmieren und 3D-Modellieren. Eher zufällig bin ich aufs Game-Design gestossen. Mit meiner Recherche darüber entdeckte ich, wie breit das Spektrum der Genres ist. Das hat mich dazu verleitet, mein Studium an der ZHdK zu beginnen. Ich war im selben Jahrgang wie Pierre.
Wie seid ihr hier im Swiss Game Hub gelandet?
Pierre: Jan und ich schlossen den Bachelor 2020 ab. Um diese Zeit herum eröffnete auch der Swiss Game Hub. Wir bewarben uns dann hier. Das war gerade, als sich die Corona-Pandemie Richtung zweiter Lockdown bewegte. Nachdem Jan und ich unabhängig voneinander unsere Bachelorprojekte in den Sand gesetzt hatten, entstand die gemeinsame Idee für unser aktuelles Spiel.
Denise: Ich habe im Swiss Game Hub bei Stray Fawn ein Praktikum absolviert und mich ihnen dann angeschlossen.
Wie ist denn der Hub entstanden?
Pierre: Er wurde von drei Instanzen gegründet. Einmal das Stray Fawn Studio. Dann David Stark, der mit dem Soloprojekt «Airships» erfolgreich ist. Ein Spiel, bei dem du eigene Steam-Punk Luftschiffe baust. Und nicht zuletzt Ateo. Dieses Studio widmet sich hauptsächlich den Bereichen Augmented und Virtual Reality (AR/ VR). Als Beispiel programmierte das Team ein virtuelles Kunstmuseum.
Die ganze Gruppe wollte den Raum freischaffenden Entwicklerinnen und daran Interessierten anbieten, mit dem Ziel, die Schweizer Gaming-Szene zu vergrössern. Videospiele sind ein 40-jähriges Medium, dem die Schweiz gefühlt 30 Jahre hinterherhinkt. Auch wenn das etwas hart klingt. Das soll sich endlich ändern.
Wie funktioniert der Swiss Game Hub?
Denise: Zum einen als Co-Working-Space. Da mietest du einen Fixplatz oder einen flexiblen Arbeitsplatz. Über die Mieterinnen und Mieter versucht der Co-Working-Bereich, seine Kosten selbst abzudecken. Den restlichen Teil übernehmen die grösseren Studios. Der so geschaffene Raum soll zum Treffen und Austauschen einladen.
Als zusätzliche Option bietet der Hub ein Mentoring an. Da reichst du deine Idee ein und sie bewerten, ob diese Idee erfolgreich sein könnte oder nicht. Wichtig ist dabei, dass die Idee im Markt gefragt ist – und mehr oder weniger Erfolg verspricht.
Wie läuft das Mentoring im Hub genau ab?
Denise: Beim Mentoring haben wir halbjährlich eine Evaluation. Dort präsentieren wir den aktuellen Stand unseres Projektes und die nächsten Ziele. Ansonsten können wir jeweils auch dazwischen auf unsere Mentoren zugehen, wenn etwas ansteht oder wir nicht weiterkommen. Das liegt jeweils bei uns und unseren individuellen Bedürfnissen.
Fürs Networking gibt es im Swiss Game Hub auch Events …
Pierre: Genau. Wir haben hier einige verschiedene Events, zum Beispiel den Gamespace. Da sprechen wir zusammen über spezifische Aspekte im Game-Design. Beispielsweise die Genderrolle im Narrativ von Games.
Am letzten Mittwoch im Monat ist Testing-Night. Da haben wir inzwischen bis zu 70 Besucherinnen und Besucher im Haus und etwa 15 Games, die vorgestellt werden. Daran merken wir langsam, aber sicher, wie die Gaming-Szene wächst. Unser Team ist dabei eines der wenigen, die auf 3D-Technologie setzen. Das ist kein expliziter Vor- oder Nachteil. Spannend sind bei den Projekt-Vorstellungen die Unterschiede. Es gibt Games, die haben einen wunderbar 2D-illustrierten und top animierten Prototypen. Dann gibt es Sachen, die extrem minimalistisch gehalten wurden. Die Bandbreite ist enorm.
Im Hub ist also einiges los, bei euch auch?
Pierre: Einen Nachmittag in der Woche arbeite ich mit meinem Team von Rulefactory an Erweiterungen von Frantic und anderen analogen Spielen. Denise und ich arbeiten daneben an verschiedenen Freelance-Projekten. Eines der grösseren Projekte ist «Of Life And Land». Dieses City-Builder-Game kommt von Team Kerzoven und simuliert auch Flora und Fauna. Wenn du in diesem Game zu viel baust, kannst du die Natur zerstören.
Denise: Daneben arbeiten wir auch immer mal wieder als klassische Grafik-Designer. Aber hauptsächlich an unserem Projekt.
Wie genau sieht euer Projekt denn aus?
Pierre: Angefangen hat es vor drei Jahren. Damals hiess es noch «Fast! Food!». Die Idee: kleine Pilze, die in Sojasaucen-Autos herumfahren. Das Projekt war eigentlich abgeschlossen, wir wollten es aber noch etwas weiterziehen. Inzwischen heisst es «Ultimate Godspeed».
Denise: Während meines Praktikums beim Stray Fawn Studio habe ich mitbekommen, dass Jan und Pierre ihr Projekt aus der Bachelorzeit weiterverfolgen wollen. Das weckte mein Interesse. Inklusive Lockdown und Pandemie dauerte die Entwicklung drei Jahre. Auch inklusive allem, was wir währenddessen gelernt haben und für das Game umsetzen konnten. Inzwischen treffen wir uns hier einmal wöchentlich für die physische Zusammenarbeit. Der Rest findet im Homeoffice statt – gesamthaft arbeiten wir beide 60 Prozent am Game.
Was genau habe ich mir unter eurem Spiel «Ultimate Godspeed» vorzustellen?
Pierre: Wenn wir jeweils die Kurzfassung pitchen, sagen wir gerne, es ist ähnlich wie Mario Kart, kombiniert mit einem Spiel, das ebenfalls sehr bekannt und erfolgreich ist, «Ultimate Chicken Horse».
Denise: Das Spiel selbst ist im Grunde ein Kart-Racing-Multiplayer. Mit einem Twist, bei dem man zwischen den einzelnen Runden Teile, Objekte und Hindernisse auf der Strecke platzieren kann. Das können zum Beispiel Fallen oder Schanzen sein. Nach jeder Runde gibt es Punkte in verschiedenen Kategorien. Vor jeder weiteren Runde werden durch die Spielenden zusätzliche Teile auf der Strecke verteilt, vorangegangene Teile bleiben aber liegen. So wird das Ganze immer chaotischer.
«Ultimate Godspeed» lässt sich also mit mehreren Leuten spielen. Auch online?
Pierre: Angefangen hat es als lokales Multiplayer-Game. Das ist einfacher zu programmieren, seit April haben wir nun den Online-Multiplayer. Der läuft, sagen wir, immer stabiler. So hatten wir das erste Mal mehr als vier Leute in einem Rennen. Schon fünf Leute am Start war ein riesiges Erlebnis. Auch alleine am Bildschirm, mit anderen Leuten – ohne Splitscreen – ist grossartig. Unser Ziel ist, das Spiel mit acht Leuten zocken zu können. Für das ultimative Chaos. Ein Party-Racing-Game quasi.
Was gefällt euch an eurem Beruf besonders gut?
Pierre: Ich kann täglich an unserem Projekt arbeiten und so mein Handwerk ausführen. Und dieses Handwerk ist äusserst vielseitig. Wir beschäftigen uns mit Audio, mit Konzepten, mit Programmierung und Animation. Das gefällt mir am Entwickeln von Games besonders. Aber natürlich müssen wir auch rausgehen und uns zeigen. Wir waren deshalb beispielsweise an der Gamescom in Köln dieses Jahr. Und an der Game Developers Conference (GDC) in San Francisco im März.
Spielemessen in Köln und San Francisco? Das klingt traumhaft!
Pierre: Ja, das klingt erstmal toll. Und wurde alles von der Pro Helvetia unter dem Banner von Swiss Games ermöglicht und organisiert. Diese Erlebnisse sind sehr eindrücklich und wertvoll, brauchen aber enorm viel Zeit und Kapazität. Die Vor- und Nachbereitung, aber auch die Anwesenheit. San Francisco nahm allein vor Ort bereits zehn Tage in Anspruch – an denen wir dann nicht am Game arbeiteten. Und auch einen Monat zuvor nahmen wir an diversen Workshops teil und traten mit Leuten in Kontakt. Vor einem Event wie der Gamescom vereinbaren wir diverse Meetings mit wichtigen Leuten und Geldgebern. In unserem Alltag haben wir aber auch andere zeitintensive Aufgaben, wie die Buchhaltung oder das Ausfüllen der Steuererklärung.
Dein Beruf scheint spannend zu sein. Trotzdem gibt es eher wenige erfolgreiche Studios in der Schweiz – gerade im Vergleich zu Ausland …
Pierre: Das stimmt. Wenn ich an erfolgreiche Game-Studios hierzulande denke, kommt mir natürlich als erstes Stray Fawn in den Sinn. Okomotive mit «Far» und «Far 2», und ganz klar Giants mit dem Landwirtschaftssimulator.
Woran, denkt ihr, liegt es, dass es bei uns so wenige erfolgreiche Studios gibt?
Denise: Es ist auf jeden Fall eine finanzielle Frage. Aus dem Nichts kannst du kein Studio eröffnen. Für finanzielle Mittel musst du aber wiederum erst ein Game herausbringen, das Geld einspielt. Und ohne Erfahrung kannst du nirgendwo andocken. Ein Teufelskreis.
Pierre: Wiederum kann ich auch nicht einfach zu einem Publisher gehen und sagen, wir wollen uns mit unserem entstehenden Game 5000 Franken im Monat auszahlen lassen. Wenn wir den internationalen Markt anschauen, weiss ein Publisher, was ein 20-köpfiges Team beispielsweise in Polen kostet. Im Vergleich dazu sind wir Schweizer extrem teuer.
Und in der Schweiz gibt es in der Kulturförderung kaum Stellen, wo du als Spieleentwickler andocken kannst. Konkret fallen mir nur zwei Anlaufstellen für die Deutschschweiz ein. Die bereits genannte Pro Helvetia spricht jeweils zweimal jährlich Förderbeiträge in verschiedenen Sparten aus. Da bekommst du teilweise bis zu 50 000 Franken zugesprochen. Das klingt zwar nach viel, in unserem Dreierteam wäre das allerdings nach drei Monaten Lohnzahlung aufgebraucht. Für narrative Spiele gibt es auch von der Migros ein Förderprogramm. Das war es. Im Vergleich zum restlichen Europa ist das relativ schwach.
Denise: Genau. Im Ausland gibt es explizite Förderprogramme. Oder sonstige Unterstützungen. In Kanada gibt es beispielsweise Steuervergünstigungen, wenn du mit deinem Studio oder Spiel Arbeitsplätze schaffst.
Pierre: Gerade wegen dieser finanziellen Hürde ist die Vernetzung unglaublich wichtig. Die Welt der Videospiele ist eine ganze Szene. Die wird woanders auf der Welt kulturell anerkannt. Hier in der Schweiz fehlt diese Anerkennung als Kulturgut leider noch. Hier wird beispielsweise ein Spiel wie das Jassen viel höher gewichtet. Die nächste Generation ersetzt es dann vielleicht mit Tichu. Aber Videospiele sind davon noch weit entfernt. Das zeigt sich natürlich wirtschaftlich. So wird viel weniger in diese Szene investiert. Deshalb ist die Arbeit von Pro Helvetia so wichtig.
In den Schlagzeilen steht immer mal wieder, dass im Ausland ein Studio geschlossen wurde. Da sieht es doch auch nicht so rosig aus?
Pierre: Die Game-Industrie ist wesentlich grösser ist als die Musik- oder auch Filmindustrie. Und klar, man versucht vor allem in dieser Industrie auch immer wieder was Neues. Ich habe aber das Gefühl, das grosse Problem liegt eher darin, dass sich die Gaming-Welt nie der Teuerung angepasst hat. Ein Game kostet heute im Schnitt um die 60 Franken. Ich habe früher schon Playstation-Games zum selben Preis gekauft. Und ich bin überzeugt, ich bekomme ein gleichwertiges Spiel inzwischen sogar günstiger, obwohl es noch mit Updates versorgt werden muss. Das macht wenig Sinn.
Zudem gibt es grosse Firmen, die in ein kleineres Studio investieren und hoffen, ihnen werde das anschliessend abgekauft. Wenn das Studio dann doch zu wenig rentabel ist, muss es wieder geschlossen werden. Das passiert im besten Fall natürlich eher früher als viel zu spät.
Passe ich ein 60-Franken-Game der Teuerung an und es kostet dann 120 Franken, würdest du es noch kaufen?
Pierre: (lacht) Naja, ich würde natürlich ganz anders damit umgehen. Ich schätze, wir haben alle einen riesigen Steam-Backlog mit Games, die wir nie zu Ende gespielt haben. Gerade ich selbst bin jemand, der auch Spiele aus der Kindheit wieder hervorholt. Aktuell ist es «Kingdom Hearts», das habe ich mit 14 gespielt.
Wenn ich selbst nun als Game-Entwicklerin durchstarten will? Wo fange ich an?
Pierre: Bei mir hat Grafikdesign geholfen, bei Frantic reinzukommen. Und von dort wiederum kam ich zum Game-Design. Die Entwicklung war dann Schritt für Schritt. Auch im Studium. Mein persönliches Erlebnis mit den ersten drei Semestern an der ZHdK war sehr gut. Dort hatte ich das Gefühl, viel gelernt zu haben und fühlte mich gefordert. Die anschliessenden Semester waren für mich ziemlich verwaschen. Hier wurde mir bewusst: Das meiste, was ich kann, habe ich mir tatsächlich selbst beigebracht.
An der ZHdK solltest du nicht erwarten, dass dich einer an die Hand nimmt, dir beispielsweise tiefe Einblicke in eine Engine gibt, oder wie du programmieren sollst. Dir werden aber Konzepte beigebracht, die du dann selbst anwendest. Mein bester Lehrer war tatsächlich Youtube. Zu populären Engines wie Unity und Godot findest du dort sehr viel.
Denise: Die Erfahrung im Grafikdesign hat mir persönlich auf jeden Fall geholfen. Das Wichtigste ist aber, dass du selbstständig arbeiten kannst. Ein Game ist ein sehr grosses Projekt. Das musst du gut strukturieren können. Und immer einen Weg finden, wie du etwas machen kannst. Da braucht es auch extrem viel Motivation.
Bei meiner Arbeit als Grafikdesignerin war ich es gewohnt, die Ideen und Wünsche von Kundinnen und Kunden umzusetzen. Auch wenn ich Spielraum in der Ausführung hatte, gab mir das einen Rahmen. Und im Studium war das Motto: Mach, was du willst. Ja, was wollte ich denn? Das war eine ganz neue Form der Kreativität, in die ich reinkommen musste.
Pierre: Meine persönliche Empfehlung ist, mit etwas Kleinerem anzufangen. Gleich im 3D-Bereich mit Online Multiplayer einzusteigen, war schon sehr mutig. Inzwischen können wir auch das, es war aber mit einem extremen Lernaufwand verbunden. Nach einem ersten Input von jemandem kannst du gut mit Youtube-Tutorials weiter aufbauen.
Und Schritt für Schritt habt ihr es dann zu eurem ersten eigenen Game geschafft.
Pierre: Genau. Im März wollen wir die Arbeit an «Ultimate Godspeed» offiziell beenden. Im Juni ist der Release. In den letzten drei Jahren haben wir sehr viel Neues gelernt, auf dem wir aufbauen können. Wir haben damit eine super Grundlage für ein neues Projekt.
Quelle: Digitec